Süddeutsche Zeitung: "Wer sagt eigentlich, dass der Profisport nur noch in Event-Arenen funktioniert?" [1]

  • Wer sagt eigentlich, dass der Profisport nur noch in Event-Arenen funktioniert?


    VON MICHAEL NEUDECKER


    Erich Kühnhackl und Alois Schloder waren neulich im Knast: Joe Wasserek besuchen. Joe Wasserek, ihr Mitspieler aus der alten Landshuter Eishockey-Zeit, ist im Juli zu zwei Jahren und vier Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Immer schon ein verwegener Typ, Kühnhackl und Schloder aber sind das Gegenteil von Knast. Kühnhackl sagt, schon als die Tür aufging, "da hat sich alles zusammengezogen", er legt seine wuchtigen Hände auf die Brust, atmet ein, hält die Luft an. Schloder grinst. Und erzählt dann die Geschichte, wie sie überhaupt reingekommen sind.
    Ausweis bitte, sagte damals der Wachmann am Eingang des Gefängnisses. Ham wir nicht dabei, sagte Schloder. Ohne Ausweis kein Einlass, sagte der Wachmann. "Dann hab' ich das Buch rausg'holt", erzählt Schloder: das Buch, das sie Joe Wasserek schenken wollten. Mit Fotos der Meistermannschaft, 1983.
    Schaun's amal her, sagte Schloder, der Große da auf dem Foto, des is' der Erich Kühnhackl. Und der da, des bin i. "
    Der hat erst die Augen verdreht", erzählt Schloder, er grinst jetzt so schelmisch, wie manchmal kleine Jungen grinsen, "dann is' er zu seinem Chef", und dann war die Sache erledigt.
    Schloder sieht ein bisschen stolz aus jetzt, neben ihm an einem Cafétisch in Landshut sitzt Kühnhackl, er hält sich die Hände vors Gesicht und schüttelt den Kopf, aber er grinst auch: Es gibt ja nur einen, der es fertig bringt, mit einem Eishockeybuch und ohne Ausweis in eine Justizvollzugsanstalt
    eingelassen zu werden.
    Alois Schloder hat diese Alois-Schloder-Aura, dieses arroganzbefreite und doch unerhörte Selbstverständnis, das man nur bekommt, wenn man als Landshuter beim EV Landshut gespielt hat.
    Wobei, was heißt: gespielt. Schloder und Kühnhackl haben den EV Landshut geprägt, wie man als Spieler einen Verein nur prägen kann. Mehr noch, Kühnhackl ist Deutschlands Jahrhundert-Spieler, und Schloder war Kapitän der Jahrhundert-Mannschaft, der Nationalmannschaft, die 1976 in Innsbruck Olympia-Bronze holte.
    Im Februar 2014 in Sotschi ist Deutschland nicht einmal qualifiziert.
    Der EV Landshut ist einer der ältesten Eishockeyvereine Deutschlands, ein Dinosaurier, der auszusterben drohte, aber doch nur eingeschlafen ist : Meister 1970 und 1983, Rückzug aus der höchsten Spielklasse in die Oberliga 1999, insolvent 2001, Zweitligist seit 2002. Ein Verein, der lange zu den herausragenden Vertretern im deutschen Mannschaftssport gehörte und dann, wie so viele andere, Probleme hatte mit dem aufkommenden Glauben des Sports und seiner Vermarkter, er sei nur in Großstädten und Event-Arenen zukunftsfähig. Die Geschichte des EVL ist ein Sinnbild für den Kampf zwischen Tradition und Moderne, und wenn man etwas über diese Geschichte erfahren will, gibt es keine besseren Gesprächspartner als Erich Kühnhackl und Alois Schloder.
    Kühnhackl, 63, ist heute Vize-Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes und Gründer einer Stiftung zur Förderung des Nachwuchses; Schloder, 66, war TV-Experte, jetzt ist er Pensionär. Sie sind Nachbarn in Landshut, zwischen ihre Grundstücke haben sie einen Pool gebaut, genau auf die Grenze. Schloder malt die Luftansicht auf ein Papier, damit man sich vorstellen kann, wie das aussieht: wie zwei Flächen mit einer großen Schnittmenge.
    Erich Kühnhackl ist 1968 als 17-Jähriger mit seinen Eltern aus Böhmen in der damaligen Tschechoslowakei nach Landshut ausgewandert, der Eislaufverein stand da gerade vor seinem sechsten Jahr in der Bundesliga, dem ersten im neuen Eisstadion am Gutenbergweg. Es war eine Zeit, in der der Oberbürgermeister in der ersten Reihe saß und vom Schiedsrichter persönlich begrüßt wurde, eine Zeit, in der die Zuschauer nur durch eine hüfthohe Holzbande vom Eis getrennt waren. Schloder kann sich noch erinnern, wie mal auswärts einer aus der vorderen Reihe mit einem Holzprügel nach ihm schlug. Lange her. Nicht selten kamen 10000 Zuschauer an den Gutenbergweg, der damalige Zuschauerschnitt von 6750 ist bis heute unerreicht.
    Heute, in der zweiten Liga, der DEL2, kommen für einen Zweitligisten ordentliche 2600 Zuschauer immer noch an den Gutenbergweg. Der EVL hat keinen Audi-Dome, keine Schauinsland-Reisen-Arena und keinen Erdgas-Sportpark, auf der nun schon 45 Jahre alten Halle steht nur: "Stadt Landshut Eissportanlage". Drinnen die seit Jahrzehnten gleichen gelben und blauen Rohre, an der Decke die Fassungen der alten, inzwischen nicht mehr benutzten Beleuchtung, die aussehen wie verschraubte UFOs, und jedes Mal, wenn der Stadionsprecher laut wird, knacken die Boxen, als würden sie explodieren. Ein stimmungsvolles Stadion, sagen die einen; ein alter Kasten, sagen die anderen.
    "Die Halle ist in den Jahren mehrmals saniert worden", sagt Schloder.
    "Ach geh', Alois", sagt Kühnhackl, "da hat sich doch nichts verändert."
    Erich Kühnhackl war immer nur Spieler beim EV Landshut, ein Profi, dessen Zahnarzt eine Art Berater war und der früh ein eigenes Auto fuhr, einen VW Standard mit Zwischengas und ohne Heizung. Alois Schloder war kein Profi, er hatte zwar ein Angebot aus Mannheim und eines aus Düsseldorf, aber er war halt Landshuter. 1974 schuf die Stadt für ihn die Stelle des Sportamtsleiters, da war er 27, er behielt das Amt 33 Jahre, bis zum Ruhestand. Er verwaltete auch das Eisstadion, "ich war der einzige Eishockeyspieler, der im eigenen Stadion gespielt hat", sagt Schloder. Und der einzige, der in Transfergeschäfte von Mitspielern involviert war: Als Kühnhackl 1976 für drei Jahre nach Köln wechselte, bezahlten die Kölner 650000 Mark, und weil der EVL bei der Stadt noch ein Darlehen von 500000 Mark offen hatte, ging die Sache über den Schreibtisch des Außenstürmers und Sportamtleiters Alois Schloder.
    Lange her, auch das.
    Man darf schon sagen, dass Kühnhackl eine ungefärbtere Sicht auf den Klub hat als Schloder, aber die Wahrheit ist: Man kann darüber streiten, was sich beim EVL seit der Kühnhackl-Schloder-Zeit verändert hat. Alles? Nichts? Alles und nichts?
    Der zweite Meistertitel, 1983, war zugleich der bisher letzte, für Schloder, für Kühnhackl, und für Landshut. Wenn man wissen will, welche Bedeutung die Eishockeyspieler für diese Stadt einmal hatten, muss man sich nur die Bilder von damals anschauen. Es gab einen Autokorso, einen Empfang auf dem Rathausbalkon, es war eine wunderbare Meisterfeier, die die niederbayerische Stadt ihren wichtigsten Repräsentanten spendierte, organisiert übrigens vom Sportamtleiter Schloder.


    [Fortsetzung in Thread 2]

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